Permalink

0

Länderfinanzausgleich – oder der Vergleich von Äpfeln mit Birnen

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft fordert seit Wochen Änderungen beim Länderfinanzausgleich. Sie ist der Auffassung, dass Nordrhein-Westfalen benachteiligt wird. Sie setzt sich dafür ein, den Länderfinanzausgleich „fair“ zu regeln, mit dem Ziel, mehr von dem in Nordrhein-Westfalen erwirtschafteten Geld im Land zu behalten. Konkret sagt sie am 6. Dezember 2014 in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung: „Wir wollen mehr von dem behalten, was bei uns erwirtschaftet wird. Vor allen Umverteilungsmechanismen hat Nordrhein-Westfalen ein um 1.000 Euro pro Einwohner höheres Steueraufkommen als Sachsen. Nach Umverteilung hat Sachsen 500 Euro pro Einwohner mehr als wir und mahnt uns öffentlich, doch bitte mehr zu sparen. Und das, obwohl wir die niedrigsten Pro-Kopf-Ausgaben aller Länder haben. Das kann strukturell so nicht bleiben.“

Bei dieser Aussage vergisst die Ministerpräsidentin jedoch zu sagen, dass sie eine andere Rechnung aufmacht als ihre Amtskollegen. Denn in Nordrhein-Westfalen werden viele Aufgaben und Kosten von den Gemeinden und vor allen den Landschaftsverbänden übernommen. Während diese Kosten in anderen Landeshaushalten vermerkt sind, finden sie im rot-grünen Haushalt in Nordrhein-Westfalen keine Berücksichtigung.

Die Landschaftsverbände und ihre Aufgaben

Eine besondere Rolle spielen hier die Landschaftsverbände. Sie sind Formen des kommunalen Zusammenschlusses, die Aufgaben wie zum Beispiel in der Kulturpflege, der Gesundheits-, Schul- und Jugendpolitik für Städte und Kreise übernehmen. Nordrhein-Westfalen verfügt mit dem Landschaftsverband Rheinland und dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe über insgesamt zwei derartige Verbände. Deutschlandweit gibt es nur noch in Niedersachsen derartige Strukturen der kommunalen Selbstverwaltung. Finanziert werden die Landschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen durch Umlagen der Kreise und kreisfreien Städte. Für das Jahr 2015 verfügen beiden zusammengenommen über einen Etat von ca. 6,8 Milliarden Euro. Beide beschäftigen zusammen über 30.000 Personen. Durch die Übernahmen von bestimmten, hoheitlichen Aufgaben entlasten die Landschaftsverbände damit die Landespolitik, insbesondere bei den Landesfinanzen.

Anhand der folgenden drei Beispiele, Förderschulen, Inklusion und Kliniken sollen die Rolle der Landschaftsverbände und ihre Auswirkungen auf den Landeshaushalt verdeutlich werden. Dazu werden entsprechende Haushaltspositionen von Nordrhein-Westfalen und Sachsen verglichen.

Beispiel 1: Förderschulen

Nordrhein-Westfalen
Die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe sind für insgesamt 74 Förderschulen (39 LVR, 35 LWL) [Quelle: Landschaftsverbände] in Nordrhein-Westfalen verantwortlich. Insgesamt planen beide im Jahr 2015 für diesen Bereich in ihren Haushaltetats dafür etwa 127 Millionen Euro (LWL: ca. 56 Millionen Euro, LVR: 71 Millionen Euro) ein.

Insgesamt verfügt das Land Nordrhein-Westfalen über 625 Förderschulen im Bereich der Grund- und Hauptschulen. Hinzukommen noch einmal 20 Förderschulen im Bildungsbereich der Berufskollegs. Die rot-grüne Landesregierung hat in ihrem Haushalt 2015 für diesen Bereich eine Summe von 834 Millionen Euro vorgesehen.

Sachsen
Das Land Sachsen verfügt im Vergleich zu Nordrhein-Westfalen über 155 Allgemeinbildende Förderschulen. Für diese plant die sächsische Landesregierung im Haushaltsjahr 2015 234,1 Millionen Euro ein. (Quelle: Landeshaushalt)

Zwischenfazit:

In Nordrhein-Westfalen übernehmen die Landschaftsverbände einen Teil der Kosten im Bereich der Sonder-/ Förderschulen, was zu einem niedrigeren Ausgabenanteil im Landeshaushalt führt. Um die Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Sachsen vergleichen zu können, müssten die 127 Millionen Euro für die 74 Förderschulen der Landschaftsverbände in den Landesetat von Nordrhein-Westfalen integriert werden.

Beispiel 2: Inklusion

Nordrhein-Westfalen
Der Landschaftsverband Rheinland und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe stellen für das Haushaltsjahr 2015 insgesamt etwa 4,5 Milliarden Euro [LVR: 2,4 Milliarden Euro / LWL: 2,1 Milliarden Euro] zur Verfügung.

Die Landesregierung hat für die Inklusion (sonderpädagogische Förderung an öffentlichen allgemeinen Schulen, an öffentlichen Förderschulen und an Schulen für Kranke) 91 Mio. Euro in den Haushalt 2015 eingestellt (Quelle: Landeshaushalt 2015).

Sachsen
Das Land Sachsen stellt in seinem Haushalt 2015 22,1 Millionen Euro für die Inklusion ein und unterstützt damit das Motto der sächsischen Bildungspolitik „Jeder zählt“. Das erklärte Hauptziel der sächsischen Bildungspolitik ist, „dass jeder Schüler – ob mit oder ohne sonderpädagogischem Förderbedarf – die jeweils bestmögliche Unterstützung erfährt und den ihm höchstmöglichen Schulabschluss erreicht.“

Zwischenfazit

In Wirklichkeit gibt – in diesem Bereich – Nordrhein-Westfalen in etwa so viel Geld aus wie Sachsen – prozentual vom Haushaltsvolumen gerechnet; Sachsen 0,13 Prozent und Nordrhein-Westfalen 0,14 Prozent – wenn man die Landschaftsverbände mit berücksichtigt.

Beispiel 3: Kliniken

Nordrhein-Westfalen
Die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe sind für insgesamt 29 Krankenhäuser verantwortlich. Addiert man beide für diesen Bereich angesetzten Etats, so ergibt sich eine Summe von 1,5 Milliarden Euro (LWL: 815 Millionen Euro / LVR: 644.317 Millionen Euro) [Quelle: Landschaftsverbände].

Die rot-grüne Landesregierung hat für das Haushaltsjahr 2015 515 Millionen Euro für den Bereich Krankenhausförderung vorgesehen.

Sachsen
Als Träger von fünf sächsischen Krankenhäuser zeichnet sich das Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz verantwortlich. Für das Haushaltsjahr 2015 stehen deshalb 115 Millionen Euro für diesen Bereich zur Verfügung.

Zwischenfazit

Sowohl das Bundesland Sachsen als auch Nordrhein-Westfalen stellen nur einen minimalen Anteil des Haushaltsvolumens ihren Kliniken zur Verfügung. Mit 0,67 Prozent des Landeshaushalts befindet sich Sachsen fast auf dem gleichen Niveau wie das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen mit 0,8 Prozent.

Fakt ist:

Durch die Übernahme von Aufgaben und Kosten durch die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe, für die in anderen Bundesländern die Landesregierungen verantwortlich sind, wird der Landeshaushalt 2015 um 6,8 Milliarden Euro „entlastet“. Das entspricht bei einem Haushaltsvolumen von 64,3 Milliarden Euro einem Anteil von ca. 10,6 Prozent. Welchen finanziellen Unterschied das im Detail ausmacht, zeigen die oben aufgeführten drei Beispiele. Dadurch steht Nordrhein-Westfalen im Vergleich mit anderen Bundesländern bei den Pro-Kopf-Ausgaben besser dar. Die von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in der Öffentlichkeit präsentierten Zahlen im Vergleich mit Sachsen sind nichts anderes als ein Vergleich von Äpfel und Birnen. Auch ihre Aussage, dass Sachsen 500 Euro mehr pro Einwohner zur Verfügung hat, ist bei der Einbeziehung der Haushalte der Landschaftsverbände nicht haltbar. Addiert man das Haushaltsvolumen der Landschaftsverbände und des Landes und stellt diese Summe in Relation zur hiesigen Einwohnerzahl und den entsprechenden Werten Sachsen, hat der Freistaat Sachsen nur ca. 300 Euro pro Einwohner mehr zur Verfügung gegenüber Nordrhein-Westfalen. Hannelore Kraft streut den nordrhein-westfälischen Bürgerinnen und Bürger Sand in den Augen, wenn es um die Landesfinanzen und den Pro-Kopf-Ausgaben geht.

 

tl; dr: Frau Kraft beklagt, dass andere Länder, insbesondere Sachsen, Nordrhein-Westfalen zum sparen auffordern, die Pro-Kopf-Ausgaben von Nordrhein-Westfalen aber zum Beispiel deutlich geringer seien als die in Sachsen. Wir haben die beiden Länderhaushalte verglichen und festgestellt, dass Frau Kraft bei ihren Berechnungen etwas schummelt, beispielsweise weil viele Ausgaben in Nordrhein-Westfalen von den großteils von den Kommunen finanzierten Landschaftsverbänden übernommen werden und deshalb im Landeshaushalt nicht auftauchen.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.