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Nordrhein-Westfalen ist nicht Ostdeutschland – die unsinnigen Vergleiche von Hannelore Kraft und Norbert Walter-Borjans

Ausgangslage

Ein gerne benutztes Wort der rot-grünen Landesregierung und Landtagsmehrheit in Nordrhein-Westfalen heißt „Strukturwandel“. Wann immer es darum geht, wie schwierig es ist, unser Land zu regieren, und warum rot-grüne Landesregierungen in den vergangenen Jahrzehnten bis zum heutigen Tag 140 Milliarden Euro Schulden aufgetürmt haben, verweist man auf den „Strukturwandel“.

Als das Thema im Plenum des Landtags zur Sprache kam, betonte die Ministerpräsidentin, dass der Strukturwandel „selbst finanziert“ sei und man „ihn mit Schulden finanzieren“ musste, als man „gleichzeitig den Süden und später den Osten solidarisch aufgebaut“ habe.

Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans erläuterte in der Sitzung des Haushalts- und Finanzausschusses vom 2. Juni 2015, dass die ostdeutschen Länder eben „über die üblichen Förderprogramme hinaus Mittel umverteilt bekommen haben. Diese Form des Strukturwandels hat Nordrhein-Westfalen alleine getragen. […] Für diesen Umbau hat es auch eine Menge Lasten gegeben, die in Kreditaufnahme gemündet sind.“

Fakt ist:

Nordrhein-Westfalen ist nicht Ostdeutschland: Der von der Landesregierung mehrfach hinsichtlich des Strukturwandels getroffene direkte Vergleich des Zustands Nordrhein-Westfalens vor 40 Jahren mit der Situation Ostdeutschlands nach der Deutschen Einheit, ist falsch. Das gleiche gilt für das dadurch gefundene Argument, dass man wegen des Niedergangs von Kohle und Stahl die gleiche Unterstützung von Europa, Bund und Ländern hätte bekommen müssen, wie die neuen Bundesländer nach der Einheit. Die Landesregierung ignoriert bei ihrer Argumentation, dass es einen großen Unterschied macht, ob es um die Umstrukturierung der Wirtschaftsform (Kohle und Stahl) oder den Wechsel einer ganzen Wirtschaftsordnung (Sozialismus zu Kapitalismus) geht. Zudem war der Ausgangspunkt des Strukturwandels in Nordrhein-Westfalen eine riesige, erfolgreiche Schwerindustrie und der lange Zeit äußerst ertragreiche Steinkohlebergbau, während in Ostdeutschland eine komplette Volkswirtschaft bereits über Jahrzehnte zu Grunde gerichtet worden war und am Boden lag. Ein Anrecht Nordrhein-Westfalens auf eine vergleichbare gesamtstaatliche Hilfeleistung ist deswegen nicht gegeben.

Es ist richtig, dass es in Deutschland kein zweites Ruhrgebiet gibt und man hier deshalb zwingender überlegen muss, wie man einen Strukturwandel bei Kohle und Stahl schaffen kann. Auf der anderen Seite hatten alle anderen Bundesländer in Ermangelung der Rohstoffe nie die Möglichkeit, eine derart erfolg- und ertragreiche Industrie überhaupt erst aufzubauen. Kohle und Stahl sind schließlich nicht das Verhängnis Nordrhein-Westfalens, sondern das, was uns überhaupt erst groß gemacht hat.

Abgesehen davon, dass der Vergleich Nordrhein-Westfalens mit Ostdeutschland falsch ist, stimmt auch die Behauptung der Ministerpräsidentin nicht, dass man den Strukturwandel in Nordrhein-Westfalen selbst finanziert hätte und deswegen heute so viele Schulden habe: Ein Großteil der gigantischen und verhängnisvollen Kreditaufnahme Nordrhein-Westfalens unter Rot-Grün zwischen 1978 und 1982 lag im Personalsektor des öffentlichen Dienstes, während nur ein vergleichsweise überschaubarer Vertrag im Montanbereich (Kohle und Stahl) veranschlagt wurde.

Der Finanzminister räumte außerdem im Haushaltsausschuss zu Recht ein, dass es Programme zur Unterstützung Nordrhein-Westfalens gegeben hat und immer noch gibt: Es sei „nie bestritten worden, dass es ansonsten einzelne Programme gegeben hat.“ „Ja, es gibt eine Menge von Programmen, aber der große Strukturwandel, der in Ostdeutschland zu Recht mit Milliardenbeträgen aus der Solidargemeinschaft getragen wird […], musste in vielen Bereichen in diesem Land und auch in anderen Ländern im Westen anders bewältigt werden.“  (s.o.)

Seit Beginn des Strukturwandels flossen große Beträge von Europäischer Gemeinschaft/ Europäischer Union, Bund und Ländern nach Nordrhein-Westfalen. Ein paar Beispiele: Mit 160 bis 180 Milliarden Mark wurde seit den 1970er Jahren der Steinkohlebergbau durch die gesamtdeutsche Bevölkerung unterstützt. Zwischen 1980 und 1988 investierte der Bund 22,5 Milliarden Mark in den nordrhein-westfälischen Verkehrsausbau. Zwischen 1980 und 1990 stiegen die arbeitsmarktpolitischen Ausgaben des Bundes, um die besonderen regionalen und wirtschaftsstrukturellen Gegebenheiten Nordrhein-Westfalens zu berücksichtigen, um das 1 1/4fache gegenüber dem Bundesschnitt. Auf Initiative des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl wurde 1988 die Ruhrgebietskonferenz abgehalten, um die Bewältigung des Strukturwandels mit der Landesregierung und den kommunalen Akteuren abzustimmen. Auch die 1987 einberufenen Kohle- und Stahlrunde stehen für den Einsatz des Bundes im Bereich der Montanwirtschaft. Zugleich wurden in den 1980er Jahren Bundesmittel auch in der Landwirtschaft bereitgestellt, um leistungsfähige Betriebe weiterzuentwickeln, aber auch, um im Rahmen des Strukturwandels Berufswechsel oder die Bewirtschaftung im Nebenerwerb zu fördern. Die Zahlungen des Bundes für den Städtebau erhöhten sich von 383,6 Millionen Mark in den 1970er Jahren auf rund 1,45 Milliarden Mark in den 1980er Jahren.

Und wie sieht es heute aus? Zwischen 2007 und 2013 wurden beispielsweise 1,3 Milliarden Euro aus dem europäischen EFRE-Fonds an Nordrhein-Westfalen vergeben, um die Wirtschaft für die Zukunft neu auszurichten.

Fazit

Nordrhein-Westfalen litt in den letzten 50 Jahren weder unter mangelnder finanzieller Unterstützung von Europa, Bund und Ländern, noch unter finanziell unlösbaren Aufgaben wegen des Strukturwandels. Die CDU machte zuletzt auch im Landtag noch einmal deutlich: Diese Begründung hat nach einem halben Jahrhundert ausgedient.

Sehr wohl stand und steht Nordrhein-Westfalen vor großen strukturellen Herausforderungen. Die heutigen Missstände und der letzte Platz beim Wirtschaftswachstum im Ländervergleich resultieren jedoch vor allem aus einer über Jahrzehnte verfehlten Schulden- und Strukturpolitik der SPD. Gelohnt haben sich die vielen Kreditaufnahmen des Landes nicht. Mehr denn je müssen wir heute die Lasten der Vergangenheit tragen. Zum Wohl unseres Bundeslands sollte die Landesregierung heute nicht mehr mit dem Verweis auf mangelnde finanzielle Unterstützung von außen immer neue Schulden aufnehmen, um dann doch eine falsche Strukturpolitik zu betreiben. Das hat schon vor 50 Jahren nicht funktioniert und wird auch heute und in Zukunft nicht funktionieren.

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